Trauer ist der Preis der Liebe

Die Schildowerin Petra Wolf hat für ihr Buch „Das Bleiben schmerzt mehr als das Gehen" mit Witwen gesprochen. Entstanden sind 18 berührende und Mut machende Porträts / Von Claudia Seiring

„Jeden Tag besuche ich Dein Grab. Doch es ist eigentlich nicht der Ort, an dem ich Dich finde. Der ist hier im Haus und in unserem Garten, dort, wo Du gelegen hast, ganz ruhig und entspannt, nur ein Blutstreifen lief über Dein Gesicht." Lisas Mann Berthold war schwer krank. Schon länger sprach er von Selbstmord und an einem 3. Oktober erschoss er sich im Garten des gemeinsamen Hauses. Die Geschichte von Lisa und Berthold und davon, wie die Witwe nach dem Tod des geliebten Mannes die Kraft zum Weiterleben findet, erzählt die Schildowerin Petra Wolf in ihrem am nächsten Freitag erscheinenden Buch „Das Bleiben schmerzt mehr als das Gehen".

Mit 17 verwitweten Frauen hat Petra Wolf gesprochen – doch erzählt werden 18 Geschichten. Denn die 58-Jährige begann zunächst – ohne den Gedanken an ein Buch – ihr eigenes Schicksal aufzuschreiben. „Das wollte ich unbedingt für mich machen", erzählt sie, „endlich diese Schwelle überschreiten und darüber berichten, was mit mir geschehen ist". Drei Tage habe sie vor dem Computer gesessen, nichts passierte und dann, endlich, quoll es förmlich aus ihr heraus.

Sie war 51 Jahre alt, als sie ihren Mann verlor. Nach seinem Tod umfing sie eine lange und tiefe Phase der Verzweiflung. In dieser Zeit war sie auf der Suche: „Ich wollte etwas über Trauer lesen. Ich suchte nach Antworten. Warum wurde die tiefe Leere in mir immer schmerzvoller? War ich noch normal? Würde das jemals wieder aufhören?" Das alles über sich selbst aufzuschreiben führte zum nächsten Schritt. Petra Wolf suchte das Gespräch mit anderen Betroffenen. Als Journalistin war sie es gewohnt, Menschen zu interviewen. Manche Frauen kannte sie bereits, andere fand sie über Freunde oder Bekannte. Sie traf sich mit ihnen für zwei, drei Stunden, „manchmal haben wir zusammen gelacht, manchmal zusammen geweint". Danach waren die Kräfte auf beiden Seiten erschöpft. „Dann haben wir einen neuen Termin gemacht und weitergeredet."

Die Frauen, die in dem Buch zu Wort kommen, sind zwischen 39 und 77 Jahre alt. Ihre Namen wurden geändert, ihre Daten anonymisiert. Sie alle haben die fertigen Texte gelesen und zur Veröffentlichung frei gegeben. „Es war für die Frauen sehr schwer, das alles noch einmal so kompakt zu lesen, praktisch das ganze eigene Leben so vor sich zu sehen", erzählt Petra Wolf. Ursprünglich hatte sie 20 Porträts zusammen, zwei Interviewte zogen ihre Geschichte zurück: Die Erschütterung beim Lesen war zu groß.

Entstanden ist ein berührendes Buch, das vom Leben und der Liebe mindestens genauso viel zu erzählen hat, wie vom Tod. Viele, die vom Sterben ihres Partners berichten und davon, wie sie es trotzdem geschafft haben, weiter zu leben, erzählen vor allem die Geschichte von Partnerschaft und Beziehung. Sie gewähren dem Leser einen intimen Blick in ihr Leben, sprechen von Ängsten und Hilflosigkeit, von der Schwierigkeit den Kindern trotzdem eine gute Mutter zu sein, von überforderten Freunden und einem leisen, hilfreichen Händedruck im richtigen Moment.

Wie unterschiedlich Menschen trauern, was sie in dieser existenziellen Situation brauchen oder wie sie handeln – all das ist in diesem Buch zu lesen. Während die eine Frau im gemeinsamen Haus weiterlebt, als wäre der Mann nur kurz fortgegangen, muss die andere seine Sachen fortgeben, um nicht immer an ihn erinnert zu werden. Ob diagnostiziert oder als Schicksalsschlag – der Tod kommt immer als Schock daher, als ein Schlag, der nicht absehbar ist.

Manchmal wird das Sterben des Partners auch als Befreiung empfunden, wie bei Vera. Die 76-Jährige gibt freimütig zu, dass sie über den Tod ihres alkoholabhängigen Mannes erleichtert war. Auch ihre Geschichte erlaubt einen Blick hinter die Kulissen einer Beziehung, beschreibt, wie Menschen zusammenleben, was sie einander antun und miteinander aushalten. Kein Tabu gibt es in Petra Wolfs Buch beim Thema Sehnsucht nach Sex und neuer (auch körperlicher) Beziehung. Viele – gerade die jüngeren Frauen – wünschen sich nach einer unterschiedlich langen Phase der Zurückgezogenheit einen neuen Partner, möchten nicht im Alter von 40 oder 50 Jahren auf eine einsame Zukunft blicken.

So ging es auch Petra Wolf selbst. Sie hat einen neuen Partner gefunden und ist glücklich in ihrer Beziehung. Trotzdem kehrt die Traurigkeit immer wieder zu ihr zurück. „In der dunklen Jahreszeit ist es schlimmer, das frühe Dunkelwerden ist sehr schlecht für Trauernde", sagt sie. Und dass die Trauer der Preis der Liebe ist, sozusagen inbegriffen.

Und? Gibt es ein Rezept dagegen? Petra Wolf überlegt nur kurz: „Ich glaube, das ist die falsche Frage. Es gibt ein Rezept für die Trauer und nicht dagegen." Wer Schmerz und Unglück nicht verdrängt, sondern durchlebt – möglicherweise mit Hilfe von Profis – könne gestärkt aus der Verzweiflung hervorgehen. Nicht zu vergessen, die Menschen an ihrer Seite: „Ich habe einen tollen Partner, ohne ihn wäre ich nicht so, wie ich jetzt bin."

Petra Wolf: „Das Bleiben schmerzt mehr als das Gehen", Custos Verlag, 200 S., 12,90 Euro; Petra Wolf liest am 25.10. um 20 Uhr im Schildower Bürgersaal aus ihrem Buch, das an diesem Tag erscheint. In Frankfurt (Oder) gibt die Autorin am 20.11., 18.30 Uhr im Restaurant Turm24 Oderturm) eine Lesung. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, mit Petra Wolf ins Gespräch zu kommen